Heute schon gepixelt?
Autor: Carsten Tergast
Ganz Deutschland ist in Aufruhr. Da hat eine böse Internet-Firma aus Amerika Autos losgeschickt, die jedes Haus im Land fotografiert haben und diese Fotos ins Internet stellen wollen.
Google Street View nennt sich das ganze Schauspiel, und man ist von Tag zu Tag erschütterter, wie viel Panik mit diesem Vorgang ausgelöst wird und wie viele unsinnige Reaktionen das Thema auslöst.
Die Leeraner Stadtoberen ließen dieser Tage verlauten, sie sähen Street View recht entspannt. Oh, dachte ich bei der Lektüre, ausnahmsweise mal eine vernünftige Ansicht… Doch dann: Natürlich, so war weiter zu lesen, sollten bestimmte Gebäude doch gepixelt werden. Schulen etwa, oder auch das Frauenhaus. Es könne ja wohl nicht sein, dass diese Gebäude weltweit im Netz zu besichtigen seien und außerdem müsse man die Kinder und die Frauen schützen.
Uff. Also doch nix kapiert, schade. Es schützt also die Schulkinder und die gepeinigten Frauen, wenn dort gepixelt wird? Sicher nicht. Wenn dieser Gedanke konsequent zu Ende gedacht wird, sollte man vielleicht unter die gepixelten Bilder noch schreiben, um welche Schule es sich handelt und welches der Fotos das Frauenhaus zeigt.
Niemand scheint sich Gedanken darüber zu machen, dass all diese Gebäude ohnehin sichtbar sind. Nämlich für jeden Fußgänger, Fahrradfahrer, Autofahrer, Nachbarn usw., der sich in der Nähe befindet. Der Clou beim Frauenhaus liegt ja gerade darin, dass man(n) das Haus sieht, aber nicht weiß, was sich hinter den Mauern verbirgt. Würde der Landkreis nun auf die Idee kommen, lieber ein weißes Tuch übers Frauenhaus zu hängen, damit es keiner sieht, könnte das eventuell höhere Aufmerksamkeit erregen. Nichts anderes ist die Verpixelung bei Google Street View.
Letztlich reflektieren die Gedanken der Stadtoberen nur die allgemeine Diskussion im Lande, die sich überall davon leiten lässt, hier werde Privatsphäre aufgehoben und dem Voyeurismus Tür und Tor geöffnet. Davon jedoch kann bei einem simplen Foto, das im Netz zu sehen ist, wohl kaum die Rede sein. Niemand zeigt dort Live-Videos aus deutschen Wohn- und Schlafzimmern, auch wenn sich genau dieser Gedanke bisweilen aufdrängt, wenn man die Diskussion verfolgt.
Leider also denkt man in Leer auch nicht weiter als anderswo. Den Leeraner Bürgern ist mehr Nüchternheit bei der Beurteilung des neuen Dienstes zu wünschen. Bei mir jedenfalls wird nichts gepixelt.
Tags: Frauenhaus, Google, Leer, Schulen, StreetView
24. August 2010 at 09:23
[…] wenn man bedenkt, wie gering oft die Informationstiefe bei den Menschen ist (dazu auch mehr im gestrigen Blogartikel über Google Street […]
2. November 2010 at 16:41
[…] 23. August schrieb ich an dieser Stelle zu den Bedenken unserer Stadtväter im Hinblick auf Googles neuen Dienst “Street View“. […]