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Theater spielen für die Öffentlichkeit

Autor: Carsten Tergast

Am Dienstag mittag gegen 14.00 Uhr betraten drei Männer das Leeraner Bistro „Schöne Aussichten“. Zwei adrett gekleidete Herren, Typus „jung, dynamisch, erfolgreich“ und ein etwas legèrer auftretender Dritter, die sich konzentriert beim Kaffee über einen Stapel Unterlagen beugten.

Die leise Vermutung, die diese Momentaufnahme bei mir auslöste, sollte sich zwei Stunden später bewahrheiten, als im Großen Saal des Rathauses die Sitzung des Bau- und Sanierungsausschusses eröffnet wurde, in der es um die Änderung des Bebauungsplanes für die Flächen ging, auf denen das ECE-Center entstehen soll.

Gleich geht die Theateraufführung los

Das Bistro-Trio stand vorne am Pult und trug vor. Dirk Siebels vom ECE-Projektmanagement beschwor erneut die vielen Vorzüge, die das Center für Leer haben wird (sagt ECE), und der nicht beanzugte Herr erwies sich als Architekt (Künstler also und somit von der Anzugpflicht befreit). Seine Aufgabe bestand darin, den Anwesenden das Center von seiner planerischen Schokoladenseite zu präsentieren, was in der Abbildung eines Segeltuchdachs zwischen Sparkassenneubau und Center gipfelte. Etwa anderthalb Stunden plätscherte die Sitzung auf diese Weise vor sich hin, ein paar Takte gab es zur Verkehrsplanung, nix Spektakuläres.

Am interessantesten noch der Vortrag von Martin Kremming, der erneut das mittlerweile berühmt-berüchtigte CIMA-Gutachten so präsentierte, dass der unbedarfte Zuhörer den Eindruck haben musste, alles sei Sonnenschein, das Center rette Leer. Kein Wort davon allerdings, dass das komplette Gutachten bis heute nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Lediglich die Fraktionsvorsitzenden der Parteien im Leeraner Stadtrat sind im Besitz dieses Schriftstückes, sollen aber dazu verdonnert worden sein, es nicht einmal ihren Fraktionskollegen zugänglich machen zu dürfen.

Die Version des Gutachtens, die auch die Stadt auf ihrer Website präsentiert, ist eine abgespeckte Variante. Wobei sich jeder selbst Gedanken dazu machen darf, was da wohl abgespeckt wurde.

Die Ausschuss-Sitzung jedenfalls wurde eigentlich erst spannend, als die Vertreter der Ratsfraktionen begannen, Statements abzugeben. Dabei zeigte sich eine ungewöhnliche Koalition der Ablehnung: Sandra Bockhöfer (FDP), Beatrix Kuhl (FFL), Paul Foest (CDU), Bruno Schachner (Grüne), Michael Runden (AWG) und Roland Szyszka (Linke) sprachen sich einmütig gegen das Center in seiner derzeit geplanten Form aus. Nochmal zum Mitschreiben: von sieben im Stadtrat vertretenen Fraktionen lieferten sechs gute Argumente gegen das Center. Ergebnis der Abstimmung am frühen Abend: 9:4 Stimmen FÜR die Änderung der Bebauungspläne, somit FÜR das Center.

Immer deutlicher wird damit, dass die stärkste Fraktion im Rat, die SPD, im Verbund mit „Bürger-Meister“ Kellner ein Projekt durchpeitschen will, das eine beachtliche Anzahl der Bürger aus guten Gründen und mit Gegenvorschlägen ablehnt. Geradezu abstrus wirkte der mehrfache Versuch des Ausschuss-Vorsitzenden Hans Fricke, Wortmeldungen zu verhindern, die Kritik am Projekt beinhalteten. Sehr souverän und gelassen wirkte da der Konter von Bruno Schachner, der Fricke mit ruhigen Worten zurechtwies und erklärte, bei so viel Pro-Center-Erzählung dürfe doch auch mal die eine oder andere Gegenstimme zu hören sein.

Traurig auch der Auftritt von Heinz-Dieter Schmidt, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Rat, der ernsthaft damit argumentierte, da man im Rat ja keine Ahnung von solchen Planungen habe, müsse man sich eben der Kompetenz von ECE und CIMA überantworten und darauf vertrauen, dass diese schon alles richtig und für Leer zum besten machen würden.

Es gruselt einen bei der Vorstellung, dass diese Haltung die Grundlage für diese und vielleicht auch andere Ratsentscheidungen sein könnte. Denn letztlich bedeutet das nichts anderes, als dass die Stadt sich von einem Privatunternehmen mit konkreten Geschäftsinteressen die Stadtplanung vorschreiben lässt. Es liegt jedoch in der Natur der Sache, dass ECE diese Planung nur soweit interessieren muss, wie sie das eigene Center betrifft. Altstadt und obere Mühlenstraße kommen in dieser Welt nicht vor.

Merken sollte man sich übrigens auch die Aussage von Dirk Siebels, ECE plane garantiert keine Center in Aurich, Emden oder Papenburg, also im näheren Umkreis von Leer. In ein paar Jahren wird Siebels sich an dieser Aussage messen lassen müssen, die schon mittelfristig gewagt erscheint. Ein Unternehmen wie ECE hat wie jedes andere größere Unternehmen eigentlich nur eine Chance: es muss wachsen. Und Wachstum kann für ECE nur heißen: noch mehr Center. Allein die Tatsache, dass eine Kleinstadt wie Leer überhaupt mit einem solch überdimensionierten Projekt belastet wird, zeigt schon, dass die entsprechenden Flächen in größeren Städten abgegrast sind und nun in die Provinz gezogen wird.

Zuletzt noch dies: FDP-Ratsfrau Sandra Bockhöfer wies darauf hin, dass die Präsentation der „Fachleute“ von ECE etc.. einen Tag vorher bereits unter Ausschluss der Öffentlichkeit den Ratsmitgliedern gezeigt worden sei. Nur, falls sich jemand wundere, warum kaum Nachfragen aus dem Rat kamen. Mit anderen Worten: damit die Bürger das Gefühl bekommen, auch dabei sein zu dürfen, spielte man gestern noch ein wenig Theater und führte das Stück mit dem Titel „Wir tun so, als ob uns die öffentliche Meinung interessiert“ vor Publikum auf. Ehrlicher wäre gewesen, darauf zu verzichten und das ganze Projekt wie bisher auch hinter den Kulissen weiter voranzutreiben. „Schöne Aussichten“ für Leer, wie sie das ECE-Trio am Mittag genossen hatte, sind das indes wohl eher nicht.

Tags: Bau- und Sanierungsausschuss, ECE, Kellner, Schöne Aussichten, Siebels, Stadtrat

Dieser Artikel wurde am Mittwoch, 08UTC12 8. Dezember 2010 um 11:00 Uhr veröffentlicht und befindet sich in der Kategorie Leer. Kommentare auf diesen Artikel können im RSS 2.0 RSS-Feed verfolgt werden. Antwort, oder trackback

4 Kommentare zu “Theater spielen für die Öffentlichkeit”

8. Dezember 2010 at 18:46

Diana M. says:

Wenn man die Diskussion des gestrigen Tages verfolgt hat und Ihren Blogg liest, ist einem als hätten Sie allein die tatsächliche Veranstaltung besucht. Die Berichterstattung der Zeitungen lässt nicht annähernd auf die gestrige Veranstaltung schließen!
VIELEN DANK FÜR IHREN KOMMENTAR! Bitte schreiben Sie noch mehr zu diesem Thema, um den Leeraner Bürgern eine Hilfe bei der Meinungsbildung zu sein!

8. Dezember 2010 at 21:25

Carsten Tergast says:

Hallo Diana,

danke für das Lob. Die Berichterstattung der lokalen Zeitungen unterliegt anderen Gesetzmäßigkeiten als mein kleiner bescheidener Blog hier. Das kann manchmal auch ein Vorteil sein! :-)

8. Dezember 2010 at 22:27

Bernd says:

Lehrreicher Artikel. Bereichernd, wenn man sowas auch mal aus einem anderen Blickwinkel ansehen kann.

9. Dezember 2010 at 16:18

Jörg M. Nowicki-Hecht says:

Theater spielen ja – aber was wird hier gespielt? Drama? Trauerspiel? Schmierenkomödie?
Und, wie ist doch gleich der Kommentar in meiner lokalen Lieblingszeitung überschrieben? „Gelebte Demokratie“. Ich glaube, das glaubt der Redakteur W. Mahlzahn sogar…
Ein Trauerspiel, aber beschlossene Sache. Hier geht es nicht mehr um das Wohl der Stadt Leer, in erster Linie geht es um den Verkauf der bislang ungenützten Grundstücke, die für den Bau des ECE benötigt werden. Hat da mal einer nachgefragt, wem die gehören? Cui bono?

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