Das wäre „Mein Leer“ gewesen. Oder: ein Akt der Zensur durch die Leeraner Politik
Donnerstag, 19UTC5 19. Mai 2011
An 20. Mai fand im Leeraner Rathaus ein Termin statt, der zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon längst Geschichte hätte sein sollen. Die Standortbroschüre zum Wirtschaftsstandort Leer wird der Presse vorgestellt.
Diese Broschüre mit einem Umfang von 48 Seiten ist eigentlich schon seit Ende letzten Jahres druckfertig. In Auftrag gegeben wurde sie jedenfalls im Sommer 2010 und sollte, sinnvollerweise, zur Ostfrieslandschau im September vorliegen. Doch, wie das so ist, verzögerte sich die Fertigstellung durch diesen und jenen Umstand immer wieder.
Zumindest sah es dann Ende des Jahres bzw. zu Beginn 2011 so aus, als wenn alles in Butter wäre und das gute Stück endlich erscheinen könnte. Doch nun hatte sich ein neues Problem ergeben, das Konsultationen auf höchster politischer Ebene der Stadt Leer erforderte.
In der Broschüre enthalten war nämlich ein Beitrag vom Betreiber dieses Blogs. Doch in Verwaltung und Politik war man mittlerweile recht angesäuert darüber, dass die Meinung von „Leer-Meinung“ zum Prestigeprojekt ECE nicht so ganz auf offizieller Linie war. Und so kam es, wie es kommen musste (musste es wirklich?): Der Verwaltungsausschuss trat zusammen, mithin eines der höchsten Gremien der Stadt, und entschloss sich zu einem einzigartigen Akt der Zensur: Der harmlose kleine Beitrag unter der Überschrift „Mein Leer“, in dem ich in wenigen Sätzen skizziert hatte, warum ich meine Heimatstadt mag, wurde aus der Broschüre verbannt. Meinen Informationen nach einstimmig. Man war der Meinung, wer sich so negativ über das Lieblingsprojekt der Herren Kellner und Co. äußert, habe in diesem Hochglanz-Werbeobjekt nichts zu suchen.
Mein Beitrag in der Broschüre hatte natürlich nichts mit dem Thema ECE zu tun, auch sonst enthielt er keinerlei Spitzen gegen etwaige Verantwortliche der Leeraner Politik und Verwaltung. Trotzdem konnte man es offensichtlich nicht aushalten, den Kritiker in einem „hauseigenen“ Produkt zu Wort kommen zu lassen.
Abgesehen davon, dass es im Grundgesetz dieses Landes heißt: „Eine Zensur findet nicht statt“, zeugt dieses Verhalten einmal mehr von jener mangelnden Souveränität, mit der die Spitzen dieser Stadt immer wieder glänzen, sei es, weil sie für Projekte kritisiert werden, die nach Meinung vieler die Stadt nachhaltig beschädigen werden, sei es weil der voraussichtliche Bürgermeisterkandidat der SPD sich außerstande sieht, mit offensichtlichen Denunziationen auf der Website der Genossen so umzugehen, wie es ganz natürlich wäre.
Ich bin also nicht drin in der Broschüre. Damit kann ich leben. Ob ich mit der Art und Weise, wie in dieser Stadt mit Kritikern umgegangen wird, so gut leben kann, weiß ich nicht. Ich finde es jedenfalls höchst beschämend, mit welcher Unverfrorenheit sich hier Lokalfürsten anmaßen, die Öffentlichkeit zu manipulieren.
Ach übrigens: Die Broschüre selbst wird ihren Zweck erfüllen, sie ist nämlich professionell gemacht und lässt die Stadt in einem guten Licht erscheinen.
Und DAS HIER wäre in der Broschüre von mir zu lesen gewesen, wenn ich den vorangegangenen Blogbeitrag nicht hätte schreiben müssen. Urteilen Sie selbst, ob es irgendeinen Grund geben könnte, diesen Text zu eliminieren:
Mein Leer
Als ich mit Schule und Ausbildung fertig war, wollte ich weg aus Leer. Studieren, Großstädte und die Welt sehen, bloß keine Provinz mehr. Nach dem Ende des Studiums und einigen beruflichen Jahren in der Fremde wusste ich: Provinz findet in den Köpfen statt, egal, wie groß die Stadt ist.
Ich kam, mittlerweile mit Familie, zurück nach Leer und fand keineswegs Provinz vor. Sondern eine lebendige, liebenswerte Kleinstadt, die aus ihren Möglichkeiten viel mehr macht als manch größerer „Konkurrent“. Als freier Journalist habe ich hier meine „Basisstation“, kann in Sekundenschnelle mit dem Rest der Welt kommunizieren und trotzdem ohne Hektik die freie Zeit genießen.
Update 24.5.2011: Die Veranstaltung fand bei der Firma Ventotec statt, nicht im Rathaus. Sorry für den Lapsus. Und Dank an „spille“ für den Hinweis…